Organisationsentwicklung

Sind 8 Stunden Arbeit zu viel? Der 6-Stunden-Tag als Lösung

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Aktualisiert am 
3.5.2024

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Lea Pietsch
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„Acht Stunden arbeiten, acht Stunden schlafen und acht Stunden Freizeit und Erholung.“

Diese Forderung stammt von dem Sozialreformer Robert Owen vor etwa 200 Jahren. Auch in Deutschland waren Arbeiter den 12- bis 14-Stunden-Tag leid, forderten darum den 8-Stunden-Arbeitstag und riefen damit die Arbeiterbewegung ins Leben.

Fast 100 Jahre später war Henry Ford einer der ersten, der im Jahr 1914 die tägliche Arbeitszeit von 9 auf 8 Stunden reduzierte sowie gleichzeitig den Stundenlohn verdoppelte – und die Wirtschaftskraft sogar noch stieg.

1918 wurde schließlich gesetzlich der Achtstundentag für Arbeiter eingeführt, ein Jahr später 1919 dann auch für Angestellte. 1923 und 1938 wurde das Gesetz durch eine Ausnahmeregelung, die einen Zehnstundentag zuließ, teilweise ausgehebelt.

Ein paar Tarifverhandlungen und Gewerkschaftsproteste später wurde 1994 mit der Einführung des Arbeitszeitgesetz der Achtstundentag gesetzlich festgeschrieben.

Zeitstrahl_Arbeitszeit

So viel zur historischen Entwicklung. Doch ist der 8-Stunden-Tag – ein 200 Jahre altes Arbeitsmodell – angesichts einer sich stetig wandelnden Arbeitswelt, in der eine gesunde Work-Life-Balance wichtiger ist denn je, sinnvoll?

Studien belegen: Weniger Arbeitszeit = höhere Produktivität

Mal ehrlich: Kannst du nach der 6. Arbeitsstunde des Tages noch konzentriert und produktiv arbeiten? Eine Studie aus Großbritannien zeigt, dass die meisten Arbeitnehmer:innen an einem 8 Stunden Tag effektiv nur 2 Stunden und 53 Minuten arbeiten. Volle Konzentration für 8 Stunden sei gar nicht erst möglich. Ist der 8-Stunden-Tag also überholt und auch für Arbeitgeber nicht sinnvoll, wenn gar kein Mehrwert entsteht?

Sind 8 Stunden Arbeit zu viel?

Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt: Eine kürzere Arbeitszeit resultiert potenziell in höherer Produktivität. Europäische Länder wurden hinsichtlich ihrer wöchentlichen Arbeitszeit und Produktivität untersucht. Raus kam: Je weniger Wochenstunden, desto produktiver wurde gearbeitet.

Böcklerstudie

Gesundheitliche Beschwerden bei hoher Arbeitszeit

Was viele bereits vermutet haben, hat auch eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bewiesen: Bei langen Arbeitszeiten steigt das Risiko gesundheitlicher Beschwerden. Das können zunächst Symptome wie Nervosität, Schlafstörung, psychische Erschöpfung oder Magenbeschwerden sein, die später zu Burnout und Depression führen können. Deshalb ist die Arbeitszeit auch ein Aspekt des Arbeitsschutzes, damit arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Sicherheitsrisiken infolge von zu starker zeitlicher Beanspruchung vermieden oder zumindest verringert werden.

Wie du dich für die Gesundheit deiner Angestellten einsetzen kannst, erführst du im Interview mit dem Experten Andreas Reiter zur betrieblichen Gesundheitsförderung – vor allem im Homeoffice besonders relevant.

Wie sieht der 6-Stunden-Tag in der Praxis aus?

Mehr Produktivität, zufriedenere Mitarbeiter:innen, weniger Krankmeldungen und mehr Bewerber? Der 6-Stunden-Tag scheint nur Vorteile für Arbeitnehmer:innen wie Arbeitgeber zu bieten. Wie sieht so ein Arbeitstag aber in der Praxis aus?

Experiment in Schweden: 6-Stunden-Tag

Schweden hat sich an innovative Arbeitszeitmodelle gewagt und ein Experiment gestartet: Statt den klassischen 8 Stunden, arbeiteten die Mitarbeiter:innen nur 6 Stunden. Unter anderem haben das Toyota-Werk in Göteborg, das Svartedalen-Heim in Göteborg und Svartedalen-Heim in Mölndal mitgemacht. Das Experiment erzielte unterschiedliche Ergebnisse.

Bei allen war die Mitarbeiterzufriedenheit höher, Krankmeldungen geringer und die Wirtschaftlichkeit konnte sich leicht bis deutlich verbessern. Allerdings kam es bei dem Svartedalen-Heim zu höheren Kosten in der Anfangszeit. Die kamen dadurch zustande, dass mehr Menschen eingestellt werden mussten, um einen reibungslosen Schichtablauf zu gewährleisten.

Das Toyota-Werk in Göteborg erzielte nur positive Ergebnisse mit dem 6-Stunden-Tag: Gleiche Produktivität bei zwei Stunden weniger Arbeitszeit, gesteigerter Umsatz und zufriedenere Mitarbeiter:innen – bestärkt durch dieses positive Ergebnis setzt das Toyota-Werk in Göteborg nun schon seit 14 Jahren auf den 6-Stunden-Tag.

5-Stunden-Tag in Deutschland

Auch in Deutschland hat sich ein Unternehmen an ein Arbeitszeitmodell abseits des 8-Stunden-Tags getraut: Rheingans Digital Enabler. Mitarbeiter:innen der IT-Agentur arbeiten seit Oktober 2017 nur noch von 8 bis 13 Uhr – bei gleichem Gehalt.

Damit das so gut funktionieren konnte, mussten erstmal einige Arbeitsprozesse optimiert werden. Das bedeutet konkret: nur Meetings wenn nötig, kein Geplauder, kein Social-Media checken. Stattdessen 5 Stunden durchgehende Konzentration. Das hat für Rheingans Digital Enabler so gut funktioniert, dass sie den Test im Februar 2018 verlängert haben und bis heute beibehalten.

30h Woche: 8 Stunden Arbeit – Freitag frei

Um auf die 30 Stunden die Woche zu kommen, müssen nicht unbedingt pro Tag 6 Stunden gearbeitet werden – es gibt nämlich auch das 4 Tage die Woche Arbeitszeitmodell. Das Modell, 4 Tage die Woche, von Montag bis Donnerstag 8 Stunden zu arbeiten und dafür in ein verlängertes Wochenende zu gehen, ist ebenfalls beliebt bei Arbeitnehmer:innen. Je mehr Freizeit, desto zufriedener sind die Mitarbeiter:innen.

Allerdings zeigen Studien, dass es zu einem Leistungsabfall bei einem 8 Stunden Arbeitstag kommt und so die erhöhte Produktivität, die es sonst bei einem 6 Stundentag geben würde, bei diesem Modell der 30 Stunden Woche nicht gegeben ist. Dadurch würde wiederum die Wirtschaftlichkeit leiden.

Der 6-Stunden-Arbeitstag – Was hält Arbeitgeber davon ab?

Die Beispiele aus Schweden und Deutschland haben die Vorteile des 5-Stunden- und 6-Stunden-Arbeitstages bei einzelnen Unternehmen deutlich gezeigt.

Dazu gehören:

  • erhöhte Mitarbeiterzufriedenheit
  • mehr Bewerber durch gesteigerte Arbeitgeberattraktivität (vor allem bei der jüngeren Generation)
  • gesteigerte Produktivität
  • geringere Fehlerquote
  • und vor allem: verbesserte Gesundheitsbedingungen

Ist der 6-Stunden-Arbeitstag in Deutschland möglich?

Ganz so einfach ist es allerdings nicht. Nachteile sind, dass Mitarbeiter:innen auf einen Teil ihres Gehalts verzichten müssen oder sich höhere Kosten in der Umstellungsphase für den Arbeitgeber ergeben. Letzteres war auch der Grund, weswegen das Svartedalen-Heim den 6-Stunden-Tag nicht beibehielt. Was Studien noch belegen müssen: Die gesteigerten Kosten könnten sich durch eine geringere Fehlerquote und weniger Krankheitstage ausgleichen.

Was wollen Arbeitnehmer:innen?

Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) wünschen sich Arbeitnehmer:innen, vor allem die mit einem höheren Bildungsabschluss, kürzere Arbeitszeiten. Der Leiter der IAB-Forschungsbereichs Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen, Enzo Weber, erklärt in der Welt, dass 50 Prozent der Männer und 40 Prozent der Frauen ihre Arbeitszeit um 2,5 Stunden in der Woche reduzieren möchten. Untersuchungen würden zeigen, dass durch die Digitalisierung eine höhere Flexibilität bei der Arbeitszeit von Mitarbeiter:innen abverlangt werde.

Manche Arbeitnehmer:innen wollen aber nicht ihre Stunden reduzieren, aus Gründen wie:

  • Höheres Gehalt
  • Mehr Stress, wenn dasselbe Arbeitspensum in 6 statt in 8 Stunden erledigt werden muss
  • Leidenschaft für den Job
  • Mehr Flexibilität bei der Einteilung der Arbeitszeit

6-Stunden-Arbeitstag einführen: So gehst du am besten vor

Bevor du dich entschließt einen 6-Stunden-Arbeitstag einzuführen, müssen die Umsetzungskosten abgewägt werden. Verkürzt man die Arbeitszeit um 2 Stunden am Tag, so sind das 10 Stunden die Woche, die mit der Anzahl an Mitarbeiter:innen multipliziert werden muss. Bei 60 Mitarbeiter:innen fehlen dann schon 600 Arbeitsstunden pro Woche.

Die fehlenden Arbeitsstunden müssen dann entweder durch mehr Einstellungen kompensiert werden oder die Produktivität ist trotz Minderung der Arbeitszeit gleichbleibend hoch. Damit in den 6 Stunden auch produktiv gearbeitet werden kann, musst du darauf achten, dass Prozesse effizient gestaltet sind. Zum Beispiel sollten nur wirklich wichtige Meetings zustande kommen und diese dann so lang wie nötig und so kurz wie möglich gehalten werden. Bei Schichtdienst und kundenorientiertem Arbeiten musst du grundsätzlich davon ausgehen, neue Mitarbeiter:innen einzustellen.

Du bist begeistert vom 6-Stunden-Arbeitstag, aber wollen Mitarbeiter:innen ihre Arbeitszeit kürzen? Um das herauszufinden, ist eine Mitarbeiterbefragung sinnvoll. So kannst du feststellen, ob sich die Belegschaft innovative Arbeitszeitmodelle wünscht und welches davon am meisten gefragt ist.

Wenn Mitarbeiter:innen sich die 30-Stunden-Woche wünschen und auch die Umsetzungskosten tragbar sind, kann das neue Arbeitszeitmodell testweise eingeführt werden. Dementsprechend kann die Arbeitszeiterfassung bereits angepasst werden, in Hinblick auf das EuGH-Urteil vom Mai 2019.

sechsstundentag

Wichtig ist die Kommunikation mit den Mitarbeiter:innen. Es muss klar werden, dass die Arbeitszeit zu reduzieren freiwillig ist und der Achtstundentag beibehalten darf, sofern das gewünscht ist. Dass es sich bei der 30-Stunden-Woche erstmal um einen Testballon mit Ablaufdatum handelt, sollte ebenfalls deutlich kommuniziert und vertraglich festgehalten werden. Auch wie sich bei einem 6-Stunden-Arbeitstag Urlaub und Pause für die Mitarbeiter:innen ändert, musst du vermitteln.

Während der Testphase sind Erfolgskontrollen wichtig, um Produktivität, Umsatz, Kosten, Krankheitstage und Mitarbeiterzufriedenheit im Auge zu behalten. So kannst du während der Testphase Arbeitsprozesse optimieren, Aufgaben umverteilen und anschließend wieder die Ergebnisse evaluieren.

Gegen Ende der Testphase kann anhand der Erfolgskontrolle festgestellt werden, ob ein 6-Stunden-Tag praktikabel für das Unternehmen ist. Aber auch dann ist es sinnvoll, die Testphase erstmal zu verlängern, bevor du den 6-Stunden-Arbeitstag ohne Befristung anbietest.

Was sagt Workwise zum 6-Stunden-Arbeitstag?

Workwise steht alternativen Arbeitszeitmodellen offen gegenüber. Gleitzeit, Homeoffice und Remote-Arbeit sind schon selbstverständlich bei uns. Dennoch arbeiten wir momentan 8 Stunden am Tag, weil das in einigen Bereichen effektiver sein kann. Zum Beispiel erreichen Vertriebsleute mehr potentielle Kunden in 8 Stunden statt in 6.

„Die Auswirkungen einer Umstellung der Arbeitszeitregelung können von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich sein. Eine Testphase mit genauem Tracking von Variablen wie Umsatzentwicklung, Krankmeldung etc. helfen diese Auswirkungen deutlicher zu sehen. Dieser Test müsste allerdings über einige Monate gehen, um beobachtete Entwicklungen wirklich mit der geänderten Arbeitszeit in Verbindung bringen zu können.”
– Franziska Kienzler – Head of People bei
Workwise

Fazit

Für die Mehrzahl der Unternehmen gilt jedoch: Die Arbeitszeit pro Tag auf 6 Stunden zu reduzieren, ist eine Überlegung wert.

Und trotzdem halten Arbeitgeber vehement an dem 8-Stunden-Tag fest, weil sie glauben, dass mehr Arbeitszeit einen höheren Umsatz bringt. Irrsinnig, wenn man sich Studien zur Korrelation von Arbeitszeit und Produktivität anschaut.

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